WOLFGANG TEMME

Bärbel Tannert

Kunsthistorikerin, München


Wandlungen

Das Aufbringen einer weißen Lackschicht auf die natürlichen, gewachsenen Strukturen eines Holzobjektes, ein Sakrileg? Oder vielmehr ein Eingriff, der − ähnlich dem Phänomen des Schneefalls − etwas aufdeckt, indem er es zudeckt?

In einer neuen Werkreihe von Wandobjekten versucht Wolfgang Temme diesem scheinbaren Bruch, der in der Begegnung unterschiedlicher Materialien angelegt zu sein scheint, nachzugehen und in eine neue Ausdrucksform zu verwandeln. Er negiert die organischen Strukturen seines Ausgangsmaterials Holz, seine natürlichen Schichtungen und sichtbaren Spuren einer natürlichen Herkunft, indem er sie mit einem künstlichen Material, einem weißen Lack? konfrontiert. In diesem Aufeinanderstoßen zweier sehr unterschiedlicher Materialien, die in ihrer so deutlichen Unterscheidung eigentlich keine Gemeinschaft eingehen können, vollzieht sich dennoch oder gerade eine Steigerung des jeweils anderen. So wird Holzobjekt zur malerischen Fläche, das seine Plastizität erst auf den zweiten Blick frei gibt ... wird malerische Oberfläche zum Spiegel für den Betrachter und wandelt sich zugleich in zeichenhafte Bildsprache. Einem Vexierspiel gleich, stehen viele Wahrnehmungsmuster in einem scheinbaren Widerspruch zueinander, verwirren den Betrachter, indem sie ihn − ausgehend von der erkennbar konkreten Arbeitsweise − eher in eine Welt des Ornamentalen, Irrationalen als konkret Fassbaren führen. Künstlichkeit gegen Natur, Malerei, die sich in Zeichnung oder nicht entzifferbare Zeichensprache verwandelt, Fläche, die mit Raum im Widerstreit steht oder auch glänzende Glätte gegen schrundige Borke, alles Teile einer Erscheinungsform, die offensichtlich zunächst quer zueinander stehen, die letztlich aber in einer fein abgestimmten Dramaturgie, die Spannung erzeugen, die den Betrachter auf eine Reise in die unendlichen Möglichkeiten sichtbarer und unsichtbarer Phänomene führt.

im Ausstellungskatalog Wandlungen, Galerie Bezirk Oberbayern, München, 2009