WOLFGANG TEMME

Gerd Jansen

Institut für bildnerisches Denken, Grenzach-Wyhlen


Zwischen Feld und Gestalt

In seinen Arbeiten verdeutlicht der Münchner Bildhauer Wolfgang Temme die grundlegende Struktur der Zeit und zwar gleich in doppeltem Sinne: Zum einen durch sein Prinzip der Summierung; zum anderen durch die Wahl des Materials Holz in Skulptur und Grafik. Das Holz dokumentiert seinen langen Entstehungsprozess in den Jahresringen. Obwohl die hier verwendeten Holzstücke im Allgemeinen von rechtwinkligem Zuschnitt sind, bleibt immer auch eine Stelle, ob Jahresringe, Rinde oder verzogener Wuchs, des Originalzustands erhalten. Das Wachsen eines Baumes bedeutet, dass Raum in Raum-Zeit umgewandelt wird. Wolfgang Temmes Arbeiten weisen genau auf diese Umwandlung als allgemeinen Prozess der Wirklichkeitswerdung, und er vollzieht diesen Prozess in einfachen Summierungen und Umkehrungen. Es liegt vollkommen in seiner Kalkulation, dass er die Unregelmäßigkeit und Veränderlichkeit des Holzes seinem systematischen Konzept unterlegt. So ist der Bezug zwischen Naturprozess und Denkprozess unmittelbar gegeben. Bei Wolfgang Temmes Arbeiten reicht in Skulptur und Bild die Vorgabe von endlich vielen Summierungen, um zu wissen wie es weitergeht. Die einfachen Umkehrungen, Umschichtungen und Verschiebungen wiederholen sich, finden hier und da aber natürliche Begrenzung - etwa durch die endliche Materialmenge eines Baumes. Die Form folgt einem zeitlichen Ablauf. In den Arbeiten wird zwar die Komplexität der Natur nicht ganz eliminiert - sie ist ja ein wesentliches Gestaltungsmoment - es wird ihr jedoch die strenge, in Einheiten vorrückende Geradlinigkeit einer Abfolge beigegeben. Die Physik lehrt uns, dass der Natur kleinste Wirkeinheiten zugrunde liegen. Das heißt jedoch nicht, dass es im Bereich der Idee, der Gesetze Kontinuität nicht gibt. Indem Wolfgang Temme die Kontinuität in Einzelschritte auflüst, richtet er unser Denken gerade auf dieses Attribut ideellen Seins. Ähnlich der modernen, seriellen Architektur, misst er den Raum durch regelmäßige Abfolgen - durch die Zeit. Das Kontinuum, das Zeitlose in seinen Feldern, ist die Gestalt, die sich nicht einmal in der unendlichsten Möglichkeit erschöpft, die nie wirklich wird und trotzdem unsere Erkenntnisfähigkeit ganz und gar bestimmt. Zwischen Feld und Gestalt heißt also, dass wir das Allgemeine nur im Besonderen, dass Sein nur im Werden zu erkennen vermögen, also ständig zwischen Denken und sinnlicher Erfahrung eine Einheit zu vermitteln haben. Bei den Aufzählungen von Wolfgang Temme stellt sich dieser Vermittlungsprozess direkt ein, weil sie - ungeachtet aller natürlichen Ornamentik - sehr reduzierte, abzählbare Strukturen sind und somit sinnenfällige Beispiele für unsere strukturierten Denkprozesse. Dass darüber hinaus in seinen Arbeiten Inneres und Äußeres vertauscht ist, unterstreicht nebenbei nochmals sein Konzept von der offenen, periodisch durchpulsten Struktur der Wirklichkeit.

Institut für Bildnerisches Denken Grenzach-Wyhlen, 2003